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1990 – Wiedervereinigung auch mit Europa

Jörg Wojahn
Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland

Freie und faire Wahlen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – seit Wochen gehen tausende Bürgerinnen und Bürger in Belarus für diese Grundrechte, die die Grundpfeiler der EU sind, auf die Straße. Die Situation erinnert an 1989, als hunderttausende DDR-Bürgerinnen und -Bürger friedlich in Leipzig, Dresden, Berlin, Magdeburg und an vielen anderen Orten ebenso für diese Rechte demonstriert haben.


Fotos

Linkes Bild: Demonstration am 7. Juni 1989 in Ost-Berlin gegen den offensichtlichen Wahlbetrug. Proteste gegen Wahlfälschung waren der Zündfunke für die friedliche Revolution im Herbst '89.

Linktipp: 7. Mai 1989: Proteste gegen Wahlfälschung in der DDR [Hans Michael Kloth, Heinricht-Böll-Stiftung]

Rechtes Bild: Demonstration am 24. August 2020 in Minsk/Belarus gegen Wahlbetrug und die Verhaftung von Demonstranten.


Autor

Jörg Wojahn ist seit September 2019 Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland. Er repräsentiert damit die Kommission in Deutschland und verantwortet die Arbeit der Vertretung an ihren drei Standorten Berlin, Bonn und München.


Die Menschen in der DDR haben der Welt bewiesen, dass es möglich ist, friedlich die Mauer einzureißen und sich friedlich den Weg in die Demokratie zu erkämpfen.

Knapp ein Jahr später, am 3. Oktober 1990, traten 16,4 Millionen DDR-Bürgerinnen und Bürger gleichzeitig der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bei – der heutigen Europäischen Union. Während Beitrittskandidaten normalerweise mehrere Jahre Zeit haben, um ihre Wirtschaft und Gesellschaft auf eine Mitgliedschaft in der EU umzustellen, mussten die Menschen in der DDR es in nur wenigen Monaten schaffen.

Fast alles was an Neuem auf sie zukam, war freilich zunächst einmal das, was die Bundesrepublik mit sich brachte. Die EWG war noch weit von dem entfernt, was wir heute als EU kennen. Es gab damals weder Schengen noch den Euro, sogar der Binnenmarkt startete erst 1993. Teil eines gemeinsamen Europas zu sein, war Anfang der 90er Jahr kaum im Bewusstsein der Deutschen – auch in der alten Bundesrepublik nicht.

Doch Europa hat sich nach 1990 rasant weiter entwickelt, und in diesen 30 Jahren haben die Menschen in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern viel zu dieser Entwicklung beigetragen, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern in den westdeutschen Bundesländern und den anderen EU-Mitgliedstaaten.

Die Zeit nach der Wiedervereinigung war für viele der neuen EU-Bürgerinnen und Bürger eine schwierige. Das Bruttoinlandsprodukt in Ostdeutschland sank 1991 um fast 35 Prozent. Die Arbeitslosigkeit schnellte in die Höhe; 2005 erreichte sie sogar fast 20 Prozent. Die ostdeutsche Industrieproduktion sank rapide. Hunderttausende wanderten ab.

Doch wo stehen wir heute? Die Arbeitslosigkeit ist auf 7,8 Prozent gesunken. Die ostdeutschen Bundesländer sind fest eingebunden in den europäischen Binnenmarkt: Die EU ist der größte Exportpartner für ihre Unternehmen und sichert so Millionen Arbeitsplätze. Die offenen Grenzen gehören zum Alltag. Weit über hunderttausend junge Menschen aus den ostdeutschen Bundesländern haben mit Unterstützung der europäischen Bildungsprogramme ihre Aus-oder Weiterbildung oder ihr Studium in anderen EU-Mitgliedstaaten absolviert. Die EU hat sich mit Fördermitteln maßgeblich am Aufbau in Ostdeutschland beteiligt.

Ich wünsche mir, dass diejenigen, die diesen Wandel erlebt und mitgestaltet haben, ihre Erfahrungen und ihr Wissen bei der Weiterentwicklung der EU miteinbringen. Ich wünsche mir auch, dass wir uns gemeinsam an die Erfahrungen von 1989 erinnern und daran, dass es wichtig ist, die Menschen, die nach unseren Werten wie freie und faire Wahlen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit streben und dafür demonstrieren, zu unterstützen – in der EU, aber auch außerhalb der EU.

Ich freue mich daher sehr, dass die Europe Direct Informationszentren in den ostdeutschen Bundesländern den europäischen Aspekt der deutschen Einheit beleuchten und zeigen möchten, wie die Europäische Kommission und die anderen europäischen Institutionen diesen Prozess unterstützt haben!