WIE DIE DDR LAUTLOS IN DIE EU FLUTSCHTE

Buch-AuszugEwald König

Zwölf Mitglieder hat die Europäische Union, die noch Europäische Gemeinschaft heißt, als die DDR lautlos in den Club gleitet – ohne Beitrittsverfahren, ohne Vorbedingungen, ohne Vertragsänderungen, aber nicht ohne Misstrauen mancher Partner. Carlo Trojan ist Vertreter der Brüsseler Kommission bei den deutsch-deutschen Einigungsverhandlungen. Interessant ist deshalb seine Sicht der Dinge, bisher noch in keinem Interview geschildert, über einen wenig beachteten Aspekt des deutschen Einigungsprozesses.

Dass Carlo Trojan bis zu meiner Kontaktaufnahme über Jahrzehnte hinweg von keinem Medium, weder einem deutschen noch einem ausländischen, zu seiner Rolle beim deutsch-deutschen Einigungsvertrag interviewt worden ist, spricht Bände. Die Art und Weise, wie die DDR gleichsam automatisch und geräuschlos in der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) und heutigen Europäischen Union (EU) aufging, ist offenbar weder in der Wissenschaft noch in der Medienöffentlichkeit von Interesse. Vergleicht man jedoch, wie mühsam sich später (2004 und 2007) andere Ostblockstaaten die Aufnahme erarbeiten mussten (die übrigens keine westdeutschen Brüder und Schwestern für einen „Aufbau Ost“ hatten), war die lautlose und bedingungslose Aufnahme der DDR in die EU alles andere als selbstverständlich. Ganz abgesehen davon, wie missgünstig manche von Europas Spitzenpolitikern damals die deutsche Einheit beäugt hatten.


Autor

Ewald König arbeitete als Korrespondent für die österreichische Zeitung 'Die Presse' in Bonn und Berlin –- als einziger Journalist, dem es gelang, sowohl in der BRD als auch in der DDR akkreditiert zu werden. Er berichtete von Montagsdemos und Flüchtlingsschicksalen, war bei der Pressekonferenz am 9. November 1989 mit Günter Schabowski dabei und erlebte die Nacht des Mauerfalls. Später gründete er sein eigenes Korrespondentenbüro in Berlin und wurde Chefredakteur und Herausgeber des europäischen Online-Portals euractive.de. Er veröffentlichte u. a. mehrer Bücher zur deutsch-deutschen Geschichte.


Text

Dieser Text stammt aus dem Buch "Die DDR und der Rest der Welt. Außenbeziehungen zur Wendezeit. Notizen eines Wiener Korrespondenten" und wurde uns vom Autoren freundlicherweise für dieses Projekt zur Verfügung gestellt.

Mehr Informationen und Inhalt

mdv Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle (Saale), 2019
ISBN 978-3-96311-205-8
424 Seiten
Ladenpreis: 20 EUR
Direktvertrieb: buecher@korrespondenten.com oder Tel. +49 30 4000 4630


„KRIEGEN WIR EIN 13. MITGLIED?“

Die EU hätte den Beitritt der DDR in die Gemeinschaft zwar nicht prinzipiell ablehnen, aber durchaus erschweren können. Hat sie aber nicht. „Hans-Dietrich, worauf müssen wir uns einstellen?“ fragte Jacques Delors, damals Präsident der Europäischen Kommission, schon vor dem Mauerfall den bundesdeutschen Außenminister. „Kriegen wir ein 13. Mitglied?“ Nach Genschers Antwort – „Nein, wir kriegen nicht ein 13. Mitglied, sondern eines von den Zwölf wird größer“ – sagte Delors: „Ich habe verstanden“, und unterstützte von da an die Wiedervereinigung kräftig.

Eine zentrale Rolle spielte Carlo Trojan. In der Person des damals 48-jährigen Niederländers war die Europäische Union in Berlin und Bonn stets mit am Tisch. (Da aus heutiger Sicht „Europäische Gemeinschaft“ fast schon vorsintflutartig klingt, bleibe ich bei „Europäischer Union“.) Wer weiß denn schon, dass die zwei deutschen Vereinigungspartner gar nicht unter sich waren, sondern Europa mit am Verhandlungstisch sitzen hatten? Und dass auch der Brüsseler Vertreter alle Vertragsentwürfe durcharbeiten und sich gelegentlich einmischen musste?

Als die Verhandlungen begannen, ging Trojan genauso wie die anderen Teilnehmer von viel mehr Zeit aus. Die Entwicklung überrollte sie jedoch. „Wir waren natürlich ganz schön müde. Wir haben Tag und Nacht gearbeitet.“ Er weiß zwar nicht mehr, was die Runde zwischendurch zu essen bekommen hat, „aber ich kann mich erinnern, dass die Ostdeutschen gutes Bier hatten!“

Der Einigungsvertrag sei ja nur das Ende eines ganzen Prozesses gewesen, der schon im Januar 1990 begonnen habe. Jacques Delors habe eine Rede gehalten, in der er den Weg zur deutschen Einheit über den Artikel 23 aufzeigte. Kurz darauf erhielt die Kommission das Mandat, eine Mitteilung für eine Sondersitzung des Europäischen Rates vorzubereiten. Gleichzeitig teilte die Kommission drei Arbeitsgruppen ein (Martin Bangemann, Frans Andriessen und Henning Christophersen) sowie eine Task Force, die Carlo Trojan unterstand.

KOMMISSION WAR STARK INVOLVIERT

„Damals hatten wir von Anfang an eine Menge Diskussionen mit den deutschen Behörden wegen der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Im März 1990 gab es ein Treffen der vollzähligen Kommission mit Kanzler Kohl. Die Kommission war also sehr stark in die Vorbereitungen des Staatsvertrags vom Juli 1990 involviert. “Da hatten die Kommission in ihrer Mitteilung vom 19. April 1990 und der Europäische Rat in Dublin Ende April bereits akzeptiert, dass es eine Erweiterung ohne Beitritt geben würde und dass keine Vertragsänderungen erforderlich seien. „Das war damals der Ausgangspunkt für uns. Von Anfang an war das klar.“

Ende Juni 1990 gab es ein Gutachten des Europäischen Rates über den Staatsvertrag auf der Grundlage einer Kommissionsmitteilung. Damit konnte die erste Phase deutscher Einigung eintreten. Durch den Staatsvertrag waren schon 80 Prozent des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der DDR eingeführt. Trojans Hauptaufgabe war, die Integration der DDR in das Sekundärrecht der Gemeinschaft vorzubereiten. Ausgangspunkt war, dass ab der Einigung das gesamte Gemeinschaftsrecht in den neuen fünf Ländern gelten sollte. Nur in manchen Fällen waren technische Anpassungen des Gemeinschaftsrechts erforderlich; in anderen Fällen sollte es noch eine Übergangsperiode geben. „Das war meine Hauptaufgabe, zusammen mit allen Abteilungen der Kommission: zuerst das Gemeinschafts-Sekundärrecht sortieren und dann sehen, wie weit technische Anpassungen und Übergangsmaßnahmen nötig sein würden.“ Übergangsregelungen – etwa bei Umwelt, Sicherheit, Qualitätsnormen und Strukturpolitik – sollten maximal drei Jahre gelten.

BESCHLEUNIGTER PROZESS

Lassen wir Carlo Trojan am besten selbst erzählen: „Die Kommission hat die notwendige Gesetzgebung für Anpassungen und Übergangsmaßnahmen gegen Ende August 1990 vorgeschlagen. Damals war unsere Zeitvorgabe für die Einigung der 1. Januar 1991. Aber der Beitritt kam viel früher, als wir dachten! Der Einigungsprozess beschleunigte sich ständig. Daraus wurde plötzlich der 3. Oktober 1990. Im September hat das Parlament zwei Lesungen innerhalb einer Woche geschafft! Das war eine ganz besondere Ausnahme.

Was den Einigungsvertrag betrifft, gab es nur zwei Verhandlungsrunden. Eine fand in Bonn statt, eine im August in Berlin. Wolfgang Schäuble war der Vorsitzende der westdeutschen, Lothar de Maizière der Vorsitzende der ostdeutschen Delegation. In beiden Sitzungen war ich der Einzige, der außer den beiden Seiten an den Verhandlungen teilnehmen durfte. Ich saß am oberen Ende des Tisches. Schäuble gab mir die Möglichkeit, jederzeit zu intervenieren, sobald es angebracht schien. Hin und wieder musste ich auch intervenieren. Das war vielleicht eine Erfahrung! Allein schon, wie ich mit der deutschen Delegation zum Flughafen Schönefeld kam, das war die erste Landung einer Luftwaffenmaschine nach dem Krieg!

Seitens des Außenministeriums hatte ich mit Dietrich von Kyaw zu tun, dem späteren Ständigen Vertreter Deutschlands in der EU. Er war der Koordinator im Auswärtigen Amt. Mit ihnen hatte ich am meisten zu tun. Aber wir hatten auch Kontakte mit dem Finanz- und anderen Ministerien. Außerdem hatte ich viele Kontakte mit DDR-Behörden unter der Regierung de Maizières.

VERPFLICHTUNGEN DER DDR ÜBERNOMMEN

Das Komplizierteste in meinem Job war die äußere Dimension. Die – auch vom Rat anerkannte – Haltung der Kommission war, dass in der Außenhandelspolitik alle Verpflichtungen der DDR automatisch Verpflichtungen der Europäischen Gemeinschaft werden sollen. Daher mussten wir erst einmal prüfen, welche Verpflichtungen überhaupt bestehen.

Alle Dokumente kamen von Berlin nach Brüssel, und es hat Tage und Nächte gedauert, bis man sie durcharbeiten konnte. Aber in einem Aspekt hatten wir Glück: Die meisten Außenhandelsverpflichtungen der DDR gab es durch den Fünfjahresplan, und der ging Ende 1990 sowieso zu Ende.

Eine Menge Probleme erledigten sich von selbst. Aber es gab auch Verpflichtungen, die automatisch auf die Gemeinschaft übergingen und adaptiert werden mussten, zum Beispiel die Importregimes von Textil und Stahl. Wir mussten auch ein paar andere Verpflichtungen respektieren. Einer der Grundsätze des Einigungsvertrags war ja der Vertrauensschutz, den man berücksichtigen musste.

ZUCKER AUS KUBA, ARBEITER AUS VIETNAM

Es gab da einige seltsame Verpflichtungen der DDR gegenüber Kuba und Vietnam. Die DDR bezog Zucker aus Kuba und verpflichtete sich, dafür Maschinen zu schicken. Die DDR importierte Agrarprodukte aus Vietnam, und im Gegenzug kamen vietnamesische Arbeitskräfte in die DDR. Das war der Grund für so viele Vietnamesen in Dresden. Das war ziemlich kompliziert. Aber erstaunlicherweise klappte am Ende alles. Der Hauptgrund dafür war, dass die Mitgliedsstaaten wegen des beschleunigten Tempos keine Probleme bereiten wollten und auch das EU-Parlament total kooperativ war.

Das Hauptproblem war jedenfalls, dass der Einigungsprozess am Schluss viel schneller lief, als wir oder auch Helmut Kohl erwartet hatten. Im Januar 1990 glaubten wir noch, es würde zwei Jahre oder sogar länger dauern. Sogar als der Staatsvertrag angenommen wurde, dachten wir noch, er würde am 1. Januar 1991 in Kraft treten.

KOPFZERBRECHEN ÜBER DAS DATUM VOM 3. OKTOBER

Aber dann hatten wir schon Anfang August; ich erinnere mich noch gut daran, weil ich meinen Kurzurlaub in Südfrankreich abbrechen musste und zurückgerufen wurde. Da zeichnete sich schon ab, dass es auf den 3. Oktober hinauslaufen würde. Das bereitete uns einiges Kopfzerbrechen. Das Parlament musste zwei Lesungen in einer Woche schaffen. Das ganze Gesetzgebungspaket konnte aber nicht vor Ende November 1990 formal von Rat und Parlament beschlossen werden. Die Kommission erhielt deshalb großzügige Ermächtigung, die Gesetzgebung provisorisch einzuführen. Das alles verlief sehr konstruktiv.

Das Verhältnis war sowohl zu den Mitgliedsstaaten als auch zum Europaparlament ausgezeichnet – viel besser übrigens, als es vor dem 1. Januar 1990 war!

Interventionen von einzelnen Mitgliedsstaaten gab es eigentlich nicht. Die einzige Sorge, die viele hatten, als wir die Übergangsbestimmungen und Anpassungsmaßnahmen erörterten, war, dass es zu einem Wettbewerbsvorteil der fünf neuen Bundesländer kommen würde. Aber das haben wir bereinigt: Die Produkte, die nicht in die Gesetzgebung der EU passten, mussten in den neuen Ländern bleiben. Die konnten also nicht nach Westdeutschland oder in die übrige EU gelangen. Daher war dieser Wettbewerbsaspekt schnell erledigt. Offensichtlich gab es auch Sorgen über die Art von Staatshilfen, die vorgesehen waren. Auch das hat sich nach der deutschen Einigung erledigt. Es gab damals lange Diskussionen zwischen der Treuhand und der Wettbewerbsdienststelle der Kommission. Da herrschte nämlich der Eindruck, dass die neuen Länder ein Wettbewerbsrisiko für den Rest der Europäischen Gemeinschaft darstellen könnten. Aber nach der Vereinigung war es klar, dass es in der DDR überhaupt keine konkurrenzfähige Industrie gab. Absolut nichts.

STATISTIKEN WAREN FALSCH

Alle Statistiken, wonach die DDR das stärkste Ostblockland sei, waren komplett falsch. Deutschland musste mit einem Schrotthaufen einen Neuanfang machen. Letztlich war das aber sogar ein Vorteil für die neuen Länder.

Für mich war das alles absolut die einzigartigste Erfahrung in meiner ganzen Berufslaufbahn, und ich habe schon eine ganze Menge hinter mir. Da hatte ich schon das Gefühl, dass ich Teil eines sehr historischen Moments war.

Als ich Stellvertretender Generalsekretär der Europäischen Kommission wurde – vor mir hatten diese Position immer nur Deutsche inne –, war ich automatisch auch Berlin-Beauftragter. Daher war ich auch ziemlich oft in Berlin und habe die Stadt und die Einwohner gut kennen gelernt.

Ich erinnere mich an den Fall der Mauer. Damals war ich in Belfast, das ja damals auch geteilt war. Als ich in Brüssel zurück war, machte ich mich in meiner Funktion als Stellvertretender Generalsekretär nach Berlin auf. Die Atmosphäre in Europa an diesem 9. November war einfach unglaublich. Aber danach wurden manche nachdenklich, François Mitterrand, mein eigener Ministerpräsident (der Niederländer Ruud Lubbers), der belgische Ministerpräsident Wilfried Martens, von Margaret Thatcher gar nicht zu reden.

Ganz offensichtlich hatte Thatcher ärgste Bedenken wegen des Wiederauftauchens eines starken Deutschlands. Und Mitterrand? Ich erinnere nur an seine Reise nach Kiew vom 6. Dezember 1989, wo er Michail Gorbatschow traf. Aber Mitterrand war intelligenter. Als er zu einem bestimmten Zeitpunkt sah, dass es unvermeidlich und unumkehrbar war, da konzentrierte er seine Bemühungen darauf, mit der deutschen Vereinigung auch Europa zu stärken. Helmut Kohl hat das übrigens ja auch getan.

Aus diesem Grund fiel im Juli 1990 im Europäischen Rat in Dublin die Entscheidung, eine Intergouvernementale Konferenz sowohl über die Währungsunion als auch über die politische Union einzuberufen.

VOLLE UNTERSTÜTZUNG VON JACQUES DELORS

Interessant war in dieser Zeit aber die Haltung von Kommissionspräsident Jacques Delors. Schon im Oktober 1989, also vor dem Fall der Mauer, hatte er eine Rede in Brügge gehalten. Da nahm er den Sonderfall DDR schon vorweg und sagte, eine Vereinigung sollte so vor sich gehen, dass der europäische Föderalismus gestärkt wird.

Delors war einer der wenigen Politiker, die ab diesem Zeitpunkt die deutsche Wiedervereinigung wirklich voll unterstützt haben. Das war auch der Grund, warum er später zu Helmut Kohl diese sehr enge Beziehung hatte.

Die deutsche Vereinigung war jedenfalls der Auslöser der europäischen Währungsunion und der stärkeren Integration Europas. Ohne sie hätte es nicht den Euro gegeben. Auch ohne Helmut Kohl hätten wir den Euro nicht. Zuerst gab es dazu eine ziemlich negative öffentliche Meinung in Deutschland; aber Kohl gewann die Wahl, und er gewann die Akzeptanz der Währungsunion. Ich glaube, der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands waren der Wendepunkt in der Nachkriegsgeschichte und bei weitem das wichtigste Ereignis nach dem Krieg.

WAS HÖLLISCH VIEL GELD KOSTETE

Im Rückblick glaube ich nicht, dass etwas hätte besser gemacht werden können. Die D-Mark eins zu eins mit der DDR-Mark anzusetzen, war wirtschaftlich gesehen eine Entscheidung, die Deutschland später höllisch viel Geld gekostet hat. Aber das war eine rein politische Entscheidung.

Am 3. Oktober 1990, dem Tag der Deutschen Einheit, waren keine ausländischen Gäste eingeladen. Ich habe keine Ahnung, was der Grund dafür war. In der Nikolaikirche in Ostberlin und dann im Kanzleramt waren Jacques Delors und der Präsident des Europaparlaments die einzigen Nichtdeutschen, die eingeladen waren. Ich gehörte zu Delors’ Begleitung. Das war schon sehr emotional. Nach der Einigung habe ich mit Präsident Delors die neuen Bundesländer besucht.

Ich bekam 1991 eine hohe Auszeichnung von Deutschland, das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern. Dafür bin ich dankbar. Es ist schön, wenn jemand wertschätzt, was man getan hat.

DIE DEUTSCHEN SIND ERWACHSEN GEWORDEN

Ich finde, die Deutschen haben sich ganz gut entwickelt. Sie sind sozusagen erwachsen und vom französischen Einfluss ein bisschen unabhängiger geworden. Deutschland ist das größte Land in der EU und steht wirtschaftlich und politisch ganz gut da. Ich finde am Verhalten der Deutschen seit ihrer Vereinigung nichts zu kritisieren.“

Soweit Carlo Trojan, den ich telefonisch in Den Haag erreichte. Er sprach englisch mit mir, deshalb fragte ich ihn, ob er in der Verhandlungsrunde 1990 für die komplizierte Rechtsmaterie einen Dolmetscher gehabt habe. „Nein“, meinte er, „ich kann ganz gut Deutsch. Passiv verstehe ich alles. Mein Englisch ist zwar besser als Deutsch, aber in den damaligen Verhandlungen habe ich immer Deutsch gesprochen.“

GENSCHER: „KEIN LAND HÄTTE NEIN SAGEN KÖNNEN“

Kurz vor dem 20. Jahrestag der Deutschen Einheit hatte Hans-Dietrich Genscher wieder einmal Zeit für ein Gespräch mit Korrespondenten ausländischer Medien. Dabei fragte ich auch ihn, wie schwierig es gewesen sei, die DDR nach der Wende einfach in die EU hineingleiten zu lassen und wie groß die Widerstände bei den anderen EU-Partnern gewesen seien.

„Vorab muss man sagen, dass die DDR immer einen besonderen Status im Verhältnis zur EU gehabt hat. Die Grenze zwischen der BRD und DDR galt nicht als Außengrenze innerhalb der EU. Daran waren wir und auch die DDR wegen des Interzonenhandels interessiert.“

„Was oft unbeachtet bleibt“, betonte Genscher, „ist die Tatsache, dass der Beitritt der DDR zur BRD nach Artikel 23 des Grundgesetzes gleichzeitig den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft betroffen hat. Wir hatten ja als zwei deutsche Staaten zwei Möglichkeiten, uns zu vereinigen. Die eine waren langwierige Verhandlungen, die andere war die souveräne Entscheidung des beitretenden Teils – und zwar allein eine Entscheidung der frei gewählten Volkskammer.“

Die Bundesrepublik hätte laut Genscher nicht einmal Nein sagen können. „Aber wir wollten natürlich auch nicht Nein sagen. Laut Verfassung war es klar: ‚Kann beitreten.‘

Deshalb fiel die Entscheidung dort. Aber der Beitritt bedeutete gleichzeitig eben die volle Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft. Die Beitrittsentscheidung der DDR-Volkskammer war nicht nur verbindlich für die Bundesrepublik, sondern auch für die Europäische Gemeinschaft. Also kein Land hätte Nein sagen können!“

SCHÄUBLE: „GENEROSITÄT“ DER EU-PARTNER

Wolfgang Schäuble, damals Innenminister und Verhandlungsführer seines Landes, streifte in einem weiteren Gespräch mit Korrespondenten den Aspekt DDR und EU nur ganz kurz. Aber er lobte die „Generosität“ der EU-Partner in dieser Frage und hob hervor, wie überaus konstruktiv der Vertreter der Kommission bei den Verhandlungen mitgewirkt habe. Er meinte Carlo Trojan.